Der Holzschuppen

Einheit | Erzählung
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Der Holzschuppen

Enthalten in:
Materialart: Erzählung
Zielgruppen: Kinder, Kinder (7-11 Jahre)
Einsatzgebiete: Freizeiten, Gruppenstunde
Verband: EJW - Evangelisches Jugendwerk in Württemberg
Redaktion: Jungscharleiter
Zeitbedarf: 30-35 Min. (Vorbereitung: 30-35 Min.)
Bibelstelle: 1. Samuel 17,1-17,50 anzeigen
Bibelstelle
1. Samuel 17,1-17,50

17

David und Goliat

1Die Philister sammelten ihre Heere zum Kampf und kamen zusammen bei Socho in Juda und lagerten sich zwischen Socho und Aseka bei Efes-Dammim. 2Aber Saul und die Männer Israels kamen zusammen und lagerten sich im Eichgrund und rüsteten sich zum Kampf gegen die Philister. 3Und die Philister standen auf einem Berge jenseits und die Israeliten auf einem Berge diesseits, sodass das Tal zwischen ihnen war.

4Da trat aus den Lagern der Philister ein Riese mit Namen Goliat aus Gat, sechs Ellen und eine Handbreit groß. 5Der hatte einen ehernen Helm auf seinem Haupt und einen Schuppenpanzer an, und das Gewicht seines Panzers war fünftausend Schekel Erz, 6und hatte eherne Schienen an seinen Beinen und ein ehernes Sichelschwert auf seinen Schultern. 7Und der Schaft seines Spießes war wie ein Weberbaum, und die eiserne Spitze seines Spießes wog sechshundert Schekel, und sein Schildträger ging vor ihm her.

8Und er stellte sich hin und rief den Schlachtreihen Israels zu: Was seid ihr ausgezogen, euch zum Kampf zu rüsten? Bin ich nicht ein Philister und ihr Sauls Knechte? Erwählt einen unter euch, der zu mir herabkomme. 9Vermag er gegen mich zu kämpfen und erschlägt er mich, so wollen wir eure Knechte sein; vermag ich aber über ihn zu siegen und erschlage ich ihn, so sollt ihr unsere Knechte sein und uns dienen. 10Und der Philister sprach: Ich habe heute den Schlachtreihen Israels Hohn gesprochen. Gebt mir einen Mann und lasst uns miteinander kämpfen.

11Da Saul und ganz Israel diese Rede des Philisters hörten, entsetzten sie sich und fürchteten sich sehr.

12David aber war der Sohn jenes Efratiters aus Bethlehem in Juda, der Isai hieß. Der hatte acht Söhne und war zu Sauls Zeiten schon alt und betagt. 13Aber die drei ältesten Söhne Isais waren mit Saul in den Krieg gezogen. Und das sind die Namen seiner drei Söhne, die in den Krieg gezogen waren: Eliab, der erstgeborene, Abinadab, der zweite, und Schamma, der dritte. 14Und David war der jüngste; die drei ältesten aber waren Saul gefolgt. 15Und David ging oftmals von Saul nach Bethlehem, um die Schafe seines Vaters zu hüten. 16Aber der Philister kam heraus frühmorgens und abends und stellte sich hin, vierzig Tage lang.

17Isai aber sprach zu seinem Sohn David: Nimm für deine Brüder diesen Scheffel geröstete Körner und diese zehn Brote und bringe sie eilends ins Lager zu deinen Brüdern; 18und diese zehn Käse bringe dem Hauptmann und sieh nach deinen Brüdern, ob’s ihnen gut geht, und bringe auch ein Unterpfand von ihnen mit. 19Saul und sie und alle Männer Israels sind im Eichgrund und kämpfen gegen die Philister.

20Da machte sich David früh am Morgen auf und überließ die Schafe einem Hüter, lud auf und ging hin, wie ihm Isai geboten hatte, und kam zur Wagenburg. Das Heer aber war ausgezogen und hatte sich aufgestellt zur Schlachtreihe, und sie erhoben das Kriegsgeschrei. 21Und Israel und die Philister hatten sich aufgestellt, Reihe gegen Reihe.

22Da ließ David sein Gepäck, das er trug, bei der Wache des Trosses und lief zur Schlachtreihe, kam hin und fragte seine Brüder, wie es ihnen gehe. 23Und als er noch mit ihnen redete, siehe, da kam herauf der Riese mit Namen Goliat, der Philister von Gat, aus den Reihen der Philister und redete dieselben Worte, und David hörte es. 24Und wer von Israel den Mann sah, floh vor ihm und fürchtete sich sehr. 25Und die Männer von Israel sprachen: Habt ihr den Mann heraufkommen sehen? Er kommt herauf, Israel Hohn zu sprechen. Wer ihn erschlägt, den will der König sehr reich machen und ihm seine Tochter geben und will seines Vaters Haus frei machen von Lasten in Israel.

26Da sprach David zu den Männern, die bei ihm standen: Was wird man dem tun, der diesen Philister erschlägt und die Schande von Israel wendet? Denn wer ist dieser unbeschnittene Philister, der die Schlachtreihen des lebendigen Gottes verhöhnt? 27Da sagte ihm das Volk wie vorher: So wird man dem tun, der ihn erschlägt. 28Und als Eliab, sein ältester Bruder, ihn reden hörte mit den Männern, wurde er zornig über David und sprach: Warum bist du hergekommen? Und wem hast du die wenigen Schafe dort in der Wüste überlassen? Ich kenne deine Vermessenheit wohl und deines Herzens Bosheit. Du bist nur gekommen, um dem Kampf zuzusehen. 29David antwortete: Was hab ich denn getan? Ich habe doch nur gefragt! 30Und er wandte sich von ihm zu einem andern und sprach, wie er vorher gesagt hatte. Da antwortete ihm das Volk wie das erste Mal.

31Und als sie die Worte hörten, die David sagte, brachten sie es vor Saul, und er ließ ihn holen. 32Und David sprach zu Saul: Keiner lasse seinetwegen den Mut sinken; dein Knecht wird hingehen und mit diesem Philister kämpfen. 33Saul aber sprach zu David: Du kannst nicht hingehen zu diesem Philister, mit ihm zu kämpfen; denn du bist ein Knabe, dieser aber ist ein Kriegsmann von Jugend auf.

34David aber sprach zu Saul: Dein Knecht hütete die Schafe seines Vaters; und kam dann ein Löwe oder ein Bär und trug ein Schaf weg von der Herde, 35so lief ich ihm nach, schlug auf ihn ein und errettete es aus seinem Maul. Wenn er aber auf mich losging, ergriff ich ihn bei seinem Bart und schlug ihn tot. 36So hat dein Knecht den Löwen wie den Bären erschlagen, und diesem unbeschnittenen Philister soll es ergehen wie einem von ihnen; denn er hat die Schlachtreihen des lebendigen Gottes verhöhnt. 37Und David sprach: Der Herr, der mich von dem Löwen und Bären errettet hat, der wird mich auch erretten von diesem Philister. Und Saul sprach zu David: Geh hin, der Herr sei mit dir!

38Und Saul legte David seine Rüstung an und setzte ihm einen ehernen Helm auf sein Haupt und legte ihm einen Panzer an. 39Und David gürtete sein Schwert über seine Kleider und versuchte zu gehen; aber er war es nicht gewohnt. Da sprach David zu Saul: Ich kann so nicht gehen, denn ich bin’s nicht gewohnt; und er legte es ab 40und nahm seinen Stab in die Hand und wählte fünf glatte Steine aus dem Bach und tat sie in die Hirtentasche, die er hatte, in den Beutel, und nahm die Schleuder in die Hand und ging dem Philister entgegen.

41Der Philister aber kam immer näher an David heran, und sein Schildträger ging vor ihm her. 42Als nun der Philister aufsah und David anschaute, verachtete er ihn; denn er war ein Knabe, bräunlich und schön. 43Und der Philister sprach zu David: Bin ich denn ein Hund, dass du mit Stecken zu mir kommst? Und der Philister fluchte dem David bei seinem Gott. 44Und der Philister sprach zu David: Komm her zu mir, ich will dein Fleisch den Vögeln unter dem Himmel geben und den Tieren auf dem Felde.

45David aber sprach zu dem Philister: Du kommst zu mir mit Schwert, Spieß und Sichelschwert, ich aber komme zu dir im Namen des Herrn Zebaoth, des Gottes der Schlachtreihen Israels, die du verhöhnt hast. 46Heute wird dich der Herr mir überantworten, dass ich dich erschlage und dir den Kopf abhaue und gebe deinen Leichnam und die Leichname des Heeres der Philister heute den Vögeln unter dem Himmel und dem Wild auf der Erde, damit alle Welt innewerde, dass Israel einen Gott hat, 47und damit diese ganze Gemeinde innewerde, dass der Herr nicht durch Schwert oder Spieß hilft; denn der Krieg ist des Herrn, und er wird euch in unsere Hand geben.

48Als sich nun der Philister aufmachte und daherging und sich David nahte, lief David eilends von der Schlachtreihe dem Philister entgegen. 49Und David tat seine Hand in die Tasche und nahm einen Stein daraus und schleuderte ihn und traf den Philister an der Stirn, dass der Stein in seine Stirn fuhr und er zur Erde fiel auf sein Angesicht. 50So überwand David den Philister mit Schleuder und Stein und traf und tötete ihn. David aber hatte kein Schwert in seiner Hand.

Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.

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Eine spannende Geschichte über einen mutigen Jungen

Als die Schulglocke das lang ersehnte Ende des Schulvormittags und das bevorstehende Wochenende ankündigte, packten alle Kinder der Klasse 4b ihre Sachen zusammen und stürmten ausgelassen aus dem Klassenzimmer. Nur Tom saß immer noch wie angewurzelt an seinem Platz und starrte auf das Papier, das vor ihm auf dem Tisch lag. Es war der Mathetest, den ihre Klassenlehrerin Frau Fischer am Ende der Stunde zurückgegeben hatte. Unten auf dem Blatt, rechts neben der roten 5, verkündeten zwei kleine bunte Aufkleber die Botschaften „Kopf hoch!“ und „Weiter üben!“ Einzelne Wasserflecken, die sich langsam auf der Mitte des Papiers ausbreiteten, lösten schon die ersten mit Tinte geschriebenen Zahlen in feine Fäden auf, die so aussahen, als würden sie in verschiedene Richtungen flüchten. Es waren die Tränen der Enttäuschung und der Wut, die Tom übers Gesicht liefen und auf den Mathetest tropften. Wenn es nach ihm ging, sollten ruhig alle Zahlen vom Blatt verschwinden – besonders die dicke rote Zahl neben den bescheuerten Aufklebern! Von wegen „Kopf hoch“ und „Weiter üben“! Tom hatte langsam keine Lust mehr! Mehr als zwei Wochen hatte er jeden Tag auf den Test geübt. Und trotzdem hat es wieder mal nur zu einer 5 gereicht! Nachdem er ein paar Minuten so dagesessen hatte, wischte er sich mit dem Handrücken über die nassen Augen, faltete den Test zusammen und stopfte ihn in seinen Schulranzen. Dann stand er abrupt auf, warf den Ranzen auf seinen Rücken und schlich aus dem Klassenzimmer. Frau Fischer, die gerade in ein angeregtes Gespräch mit einer Kollegin vertieft war, bemerkte ihn gar nicht.

Tom machte sich auf den Weg nach Hause. Als er eine Weile an der frischen Luft unterwegs war, wichen seine Wut und die Enttäuschung über das schlechte Ergebnis allmählich der Sorge um die Reaktion seiner Mutter. Sicher würde sie sehr traurig sein, wenn sie schon wieder eine schlechte Klassenarbeit unterschreiben musste. Schimpfen würde sie nicht, das tat sie nie. Aber es war schon vorgekommen, dass sie geweint hatte und verzweifelt fragte, wie sie ihm denn noch helfen könnte. Tom wusste es selbst nicht. Er lernte wie verrückt, hatte dreimal in der Woche Nachhilfe in Mathe und Deutsch und versuchte, in der Schule gut aufzupassen. Aber es fiel ihm trotzdem sehr schwer, den Unterrichtsstoff zu verstehen. Er konnte ihr den Test erst heute Abend zeigen, wenn sie von der Arbeit nach Hause kam. Und sein Vater? Den interessierte die Schule gar nicht. Toms Eltern hatten sich vor drei Jahren getrennt, und sein Vater wohnte einige Kilometer entfernt in der nächsten Stadt. Er sah ihn nur unregelmäßig, weil er oft beruflich unterwegs war oder lieber Zeit allein mit seiner neuen Freundin verbringen wollte. Einmal hatte er ihm erzählt, dass ihn ein paar Jungs aus seiner Klasse „Dummi“ genannt und ausgelacht hatten. Daraufhin hatte sein Vater gemeint, er soll ihnen einfach mal eine reinhauen. Aber Tom wusste, dass das nichts brachte – außer weiteren Schwierigkeiten. Vor längerer Zeit hatte ihn Paul, der stärkste Junge und so etwas wie der „Anführer“ der Klasse, wegen einer 6 im Diktat in der großen Pause geärgert. Das hatte er so lange gemacht, bis Tom ihm kräftig mit der Faust in den Magen geboxt hatte. Zur „Belohnung“ wurden seine Eltern von der strengen Rektorin Frau Graf zu einem Gespräch eingeladen und er musste Paul einen Entschuldigungsbrief schreiben. Das Leben war eben ungerecht!

In der Klasse hatte Tom keine Freunde – bis auf seinen Nebensitzer Jens. Der war einer der wenigen, die nicht die Augen verdrehten, wenn er wieder mal länger brauchte, um etwas zu verstehen oder mehrmals hintereinander keine Antworten auf die Fragen der Lehrer wusste. Jens behandelte ihn immer fair und spielte als einziger Junge auch in der großen Pause mit ihm. Er war echt froh, dass es ihn gab.

Tom war so in seine Gedanken versunken, dass er kaum etwas von seinem Schulweg mitbekam. Und so war er ganz überrascht, als er plötzlich vor seiner Haustür stand. Er schloss sie auf, betrat den Flur, streifte sich die Schuhe ab, zog seine Jacke aus und pfefferte den Ranzen in die Ecke. Nachdem er sich mit einem Wurstbrot und einem Apfel gestärkt hatte, erledigte er seine Hausaufgaben. Gegen halb Drei machte er sich auf den Weg zum Gemeindehaus. Seit kurzem ging Tom freitags nämlich in die Jungschar. Letzten Monat hatte seine Mutter eine Einladung im Briefkasten gefunden und gemeint, er soll ruhig mal hingehen, um neue Freunde kennenzulernen. Und nach einigem Zögern hatte er sich am letzten Freitag tatsächlich getraut. Wider Erwarten hatte es ihm in der Jungschar gut gefallen. Die Leute waren nett, man machte lustige Spiele, sang fröhliche Lieder und hörte spannende Geschichten. Heute erzählte Jungscharleiter Peter von einem unscheinbaren Hirtenjungen namens David, der mit Gottes Hilfe den mächtigen Riese Goliath besiegte. Das gefiel Tom: Ein kleiner Schwacher bekommt den Mut, die Kraft und die Ideen, um etwas zu schaffen, das eigentlich unmöglich ist! Als Erinnerung an diese Geschichte bekamen alle Jungs ein blaues Armband mit der Aufschrift „Sei mutig und stark! Gott ist bei dir.“ geschenkt.

Später beim Abendessen zeigte er seiner Mutter stolz das Armband und erzählte ihr die ungewöhnliche Geschichte, die er am Nachmittag gehört hatte. Sie hörte ihm interessiert zu und nickte lächelnd, als er fragte, ob er das Armband auch nachts anbehalten darf. Dann fiel ihm plötzlich sein Test wieder ein – den hatte er ganz vergessen! Er las noch einmal den Spruch auf dem blauen Band, holte tief Luft und holte dann den zerknitterten Test, der noch zwischen Büchern und Heften in seinem Ranzen steckte. Seine Mutter warf nur einen kurzen Blick darauf, dann stand sie auf und nahm ihn in die Arme. „Das tut mir sehr leid. Du hast dich so angestrengt!“, flüsterte sie und drückte ihn fest.

Eine Stunde später lag Tom in seinem Bett und kuschelte sich müde in seine Decke. Er war sehr erleichtert, dass seine Mutter so verständnisvoll auf die dumme Klassenarbeit reagiert hatte. Der Tag hatte zwar denkbar schlecht angefangen, aber der Mittag und der Abend hatten ihm wirklich gefallen. Und er freute sich jetzt auch auf die nächste Woche. Von Mittwoch bis Freitag würde er mit seiner Klasse nämlich ins Schullandheim gehen! Er berührte das Band an seinem linken Handgelenk und grinste. „Ich bin mutig und stark. Gott ist bei mir“, dachte er. Kurz darauf schlief er ein.

Toms Vorfreude auf das anstehende Schullandheim wurde auch nicht dadurch getrübt, dass Paul ihn verspottete, als er am Montag das blaue Armband entdeckte und die Aufschrift gelesen hatte. „Gott ist also was für Schwächlinge!“, sagte er höhnisch. „Dann passt er ja gut zu dir!“ Tom nickte nur und meinte: „Da hast du ausnahmsweise mal recht.“ Paul schaute erst etwas verdutzt, dann prustete er los und rief: „Sieh mal an, der Kleine wird frech! Es scheint tatsächlich zu wirken!“ Lachend boxte er Tom auf den Arm und ging dann weiter, um anderen Kindern der Klasse seine „Entdeckung“ weiterzuerzählen. Wahrscheinlich wäre Paul das Lachen vergangen, wenn er gewusst hätte, dass auch sein Mut bald auf eine harte Probe gestellt werden würde….

Am Mittwoch war es endlich soweit – gegen Mittag erreichte die Klasse 4b mit der Klassenlehrerin Frau Fischer nach zweistündiger Busfahrt ihr Domizil für die nächsten Tage: Das Haus Waldeck in Berghausen, einer kleinen Stadt in Süddeutschland. Das Freizeitheim lag direkt am Rande eines dichten Waldes und bot ausreichend Platz für die ganze Klasse. Nachdem Frau Berger, die Haushälterin, sie freundlich begrüßt und die wichtigsten Regeln für den Schullandheimaufenthalt erklärt hatte, bezogen alle ihre Zimmer. Anschließend gab es ein leckeres Mittagessen. Nach einer kurzen Mittagspause trafen sich die Kinder mit Frau Fischer vor dem Haus – auf dem Programm stand nämlich ein spannendes Geländespiel. Die Lehrerin hatte an verschiedenen Stellen im Wald kleine Döschen versteckt. Wurde eine Dose entdeckt, sollten die Gruppenmitglieder ihre Namen auf den Zettel schreiben, der zusammengerollt in jeder Dose steckte. Als Spielgebietsbegrenzung dienten vier Waldwege. Die Klasse wurde in Dreiergruppen eingeteilt. Paul verzog das Gesicht, als Frau Fischer sagte, dass er mit Tom und Jens eine Gruppe bilden sollte. Ausgerechnet mit denen! Er wäre tausendmal lieber mit anderen Jungs losgezogen als mit diesen Pfeifen! Und so war die Stimmung zunächst sehr angespannt, als sich die Drei auf den Weg in den Wald machten. Paul starrte mürrisch vor sich hin und sagte kein Wort. Das zog er so lange durch, bis er zufällig eine Dose entdeckte, die mit einer Schnur an einem niedrigen Ast einer jungen Buche befestigt war und sanft im Wind hin- und herschwang. Das verbesserte seine Laune etwas. Und nachdem ihm Jens begeistert auf die Schultern geklopft und ihn zu seinem Fund beglückwünscht hatte, huschte sogar ein kleines Lächeln über sein Gesicht. Nach einiger Zeit hatten alle drei Jungs richtig Spaß an dem Geländespiel. Mit Tom sprach Paul zwar kein Wort, aber immerhin ließ er ihn in Ruhe.

Jens, Paul und Tom suchten gerade eine kleine Waldlichtung ab, als es plötzlich im Gebüsch raschelte und fiepte. Erschrocken drehten sie sich um. Nicht weit weg von ihnen entfernt stolperte ein kleiner Fuchs aus einem Haselnussstrauch, blieb dann in sicherer Entfernung stehen und schaute sie unsicher an. Die drei Buben atmeten erleichtert aus. „Er sieht echt süß aus“, sagte Tom leise, um das Tier nicht zu verjagen. Jens nickte zustimmend: „Der ist sicher erst wenige Monate alt und hat sich verlaufen“, flüsterte er. Sie standen bewegungslos da und beobachteten, wie der Fuchs verspielt einem gelben Schmetterling hinterherhüpfte und erfolglos versuchte, ihn mit seiner Schnauze zu fangen. Danach fiepte er noch einmal und trottete dann tollpatschig in die Richtung, aus der er gekommen war. Kurz darauf war er wieder im Unterholz verschwunden. „Los, hinterher!“, rief Paul. „Vielleicht bringt er uns zum Fuchsbau und wir können seine Mutter und seine Geschwister beobachten. Es ist selten, dass man Füchse tagsüber zu Gesicht bekommt.“ Tom und Jens waren einverstanden. Auch sie waren neugierig darauf, wohin der kleine Fuchs gehen würde. Und so nahmen sie eifrig die Verfolgung auf.

Anfangs war das ein leichtes Unterfangen: Sie hörten das Knacken der Äste und sahen immer wieder das rötliche Fell durch die Blätter der Bäume leuchten, während sie dem Jungtier in sicherer Entfernung folgten. Bald hatten sie den Waldweg, der das Spielfeld begrenzte, überquert und gerieten, ohne es selbst wirklich zu merken, immer tiefer in den dichten Wald, der nun hauptsächlich aus hohen Tannen und wild wuchernden Büschen bestand. Und dann tauchte plötzlich wie aus dem Nichts ein Bretterzaun vor ihnen auf und versperrte ihnen den Weg. Ihr kleiner Freund, der Fuchs, war verschwunden. Sie beschlossen, rechter Hand am Zaun entlangzugehen. An den Holzlatten waren in Abständen von wenigen Metern gelbe Warnschilder mit der Aufschrift „Betreten streng verboten!“ angebracht. Nach kurzer Zeit entdeckte Tom eine schmale Öffnung zwischen den Brettern. Direkt unter einem der gelben Warnschilder war der untere Teil einer Holzlatte abgebrochen. „Bestimmt ist der Fuchs hier durchgeschlüpft!“ rief er. Neugierig spähten die Jungen durch die Zaunlücke. Sie sahen ein kleines verwildertes Grundstück, auf dem zwischen hohem Gras und dichtem Gestrüpp einzelne Laubbäume wuchsen. Etwa in der Mitte der eingezäunten Fläche standen eng nebeneinandergereiht einige junge Fichten mit spitzen Wipfeln, die eine Art Kreis bildeten. Jens sagte: „Bestimmt befindet sich der Fuchsbau hinter den Nadelbäumen.“ Paul nickte. „Du hast recht“, meinte er und schaute dann seine Klassenkameraden erwartungsvoll an: „Sollen wir mal nachschauen?“ Tom wiegte den Kopf hin und her. „Ich weiß nicht“, antwortete er zögernd. „Es scheint alles sehr privat zu sein hier.“ Er erwartete einen bissigen Kommentar von Paul und wunderte sich fast, als dieser mit den Schultern zuckte und zugab, dass er auch ein bisschen Bammel hätte, einfach so das Grundstück zu betreten. Vielleicht war er doch nicht so hart und gefühllos, wie er sich immer gab…. Schließlich machten sich die Drei auf den Weg zurück zum Freizeitheim. Die Zeit für das Geländespiel war fast abgelaufen, und es lohnte sich jetzt nicht mehr, weiter nach Dosen zu suchen. Während sie hintereinander durch den Wald stapften, unterhielten sie sich angeregt über den kleinen Fuchs, aber vor allem über das seltsame Gelände hinter dem Bretterzaun. Das geheimnisvolle Grundstück interessierte sie mehr, als sie vorher gedacht hatten. Paul war so aufgeregt, dass er sogar direkt mit Tom sprach, ohne es zu merken. Bevor die drei Jungen das Haus Waldeck erreichten, waren sie sich einig, dass sie ihre Entdeckung für sich behalten und so bald wie möglich noch einmal zum Holzzaun zurückkehren wollten, um das Gebiet dahinter genauer unter die Lupe zu nehmen. Als Zeichen für ihre Abmachung reichten sie sich feierlich die Hände. Es war schon lange her, dass Tom sich so glücklich gefühlt hatte wie in diesem Augenblick.

Am nächsten Tag warteten sie ungeduldig auf die Gelegenheit, sich unbemerkt davonzuschleichen. Aber bis zum späten Nachmittag gab es dauernd irgendein Programm, an dem alle Kinder teilnehmen mussten. Als Frau Fischer nach dem Abendessen endlich verkündete, dass man sich bis zum gemeinsamen Spieleabend frei beschäftigen und auch zusammen mit mindestens zwei anderen Kindern ein Stück in den Wald gehen durfte, sahen sich Paul, Jens und Tom verstohlen an. Gleich konnte ihr Abenteuer also losgehen!

Nachdem sie sich lange Sachen angezogen hatten, trafen sie sich direkt am Waldrand. Tom hatte vorsichtshalber noch seine Taschenlampe eingesteckt. Sie machten sich aufgekratzt und fröhlich plaudernd auf den Weg. Aber je näher sie dem Grundstück kamen, desto stiller wurden sie. Jetzt, wo es ernst wurde, wuchs ihre Anspannung mit jedem Schritt. Was erwartete sie wohl hinter dem Bretterzaun? Würden sie dort den Fuchsbau entdecken? Was, wenn sie jemand bei ihrem Einbruch erwischte? Nach etwa 20 Minuten Fußmarsch hatten sie das Grundstück erreicht und schlichen so leise wie möglich bis zu der Stelle mit der abgebrochenen Holzleiste. Sie gingen in die Knie und spähten vorsichtig durch die Öffnung. Alles sah noch so aus wie gestern. Jens blickte seine Kameraden an. „Los geht’s!“, sagte er und versuchte, dabei mutig zu klingen. Aber das leichte Zittern in seiner Stimme war nicht zu überhören. Er zwängte sich seitlich durch die schmale Öffnung. Paul folgte ihm nach kurzem Zögern. Dann war Tom an der Reihe. Er hatte sich auf ihre Erkundungstour gefreut, aber jetzt fühlte er sich gar nicht wohl in seiner Haut. Schließlich wiesen die gelben Schilder unübersehbar darauf hin, dass das Betreten des Grundstücks verboten war… Aber er wollte vor den anderen auch nicht wieder wie ein Feigling oder Schwächling dastehen. Er fasste sich ein Herz und schlüpfte schnell durch den Spalt, bevor er es sich doch noch anders überlegen würde. Als er auf der anderen Seite ankam, machte Paul das Daumen-nach-oben-Zeichen. Tom lächelte und fühlte sich schon wieder besser. Jens zeigte auf den Kreis der Fichten in der Mitte des Grundstücks. „Mir hinterher!“, befahl er flüsternd und setzte sich dann in gebückter Haltung in Bewegung. Paul und Tom folgten ihm in kurzen Abständen durch das hohe Gras. Unterwegs mussten sie sich zwischen den störrischen Zweigen verschiedener Büsche ihren Weg bahnen, unter wilden Brombeersträuchern durchkriechen und schließlich durch ein Meer von Brennnesseln waten. Zum Glück hatten sie vor ihrem Ausflug lange Kleidung angezogen! Endlich hatten sie die dichtstehenden Nadelbäume erreicht. Im Gras hockend steckten sie die Köpfe zusammen. „Sollen wir schauen, was dahinter ist?“, fragte Jens unsicher. „Ich hab ein bisschen Schiss.“ „Ich auch!“, entgegneten Paul und Tom wie aus einem Munde. Sie grinsten sich an. „Aber wenn wir schon mal hier sind, können wir auch ganz kurz nachsehen und dann wieder abhauen“, meinte Paul. Die anderen nickten zustimmend. Ihre Neugier war jetzt doch größer als ihre Angst. Sie drückten die Zweige mit den spitzen Nadeln zur Seite und krochen durch die Bäume. Sobald sie die Baumgrenze überwunden und wieder freie Sicht hatten, erkannten sie, was die Fichten bisher verdeckt hatten: Es war ein alter, unscheinbarer Holzschuppen. „Vielleicht leben die Füchse in dem Haus“, flüsterte Paul. „Lasst uns mal nachschauen!“. Bevor Tom ihn fragen konnte, wie er denn ins Haus kommen wollte, hatte Paul schon begonnen, um das Gebäude zu laufen. Jens zuckte mit den Schultern und folgte ihm. Tom, der nicht alleine bleiben wollte, ging hinterher. Der Holzschuppen hatte keine Fenster, aber auf einer der beiden schmalen Seiten befand sich eine Tür. Paul überlegte kurz und drückte dann die Türklinke ganz langsam nach unten. Jens und Tom hielten den Atem an. Paul zog vorsichtig am Griff, aber die Tür bewegte sich nicht. Sie war verschlossen. Fast erleichtert stießen die beiden anderen die angehaltene Luft wieder aus ihren Lungen. Die Füchse würden sie sowieso nicht im Schuppen finden. Es sei denn, sie hätten einen eigenen Türschlüssel….

Sie beschlossen, noch einmal um das Haus zu gehen, dabei nach Ritzen oder losen Brettern zu schauen, die ihnen einen Blick ins Innere ermöglichen würden, und sich dann wieder auf den Heimweg zu machen. Die Drei umrundeten also das Gebäude noch einmal und begutachteten es dabei aufmerksam. Sie tasteten verschiedene Stellen ab und suchten erfolglos nach lockeren Holzplanken. Fast waren sie wieder am Ausgangspunkt angekommen, als Tom plötzlich in einem der Bretter ein Astloch entdeckte. Aufgeregt drückte er sein Gesicht gegen die Wand und schaute mit einem Auge durch die kleine Öffnung. Es dauerte eine Weile, bis es sich an die Dunkelheit im Inneren der Hütte gewöhnt hatte, denn lediglich durch einige Ritzen im Holz fiel etwas Tageslicht. Was er dann erkannte, machte ihn zunächst sprachlos: Der Boden und die Decke des alten Holzschuppens war komplett mit einer Art Metall ausgekleidet. In der Mitte des Raumes befand sich ein langer Stahltisch, auf dem eine Kiste mit irgendwelchen Werkzeugen stand. Auf einem anderen Tisch, direkt neben der Tür, lag ein hoher Stapel aus verschiedenen Tierfellen. Von der Decke hingen an spitzen Haken große Fleischstücke.

Als Tom seine Sprache wiedergefunden hatte, rief er seine Kameraden her, die nacheinander durch das Astloch spähten. Danach schauten sich die drei Jungen ungläubig an. „I- ich glaube, wir ha- haben das Lager von Wilderern entdeckt!“, stotterte Paul aufgewühlt. Jens nickte. „Die fangen illegal Tiere und verkaufen dann das Fleisch und die Felle“, meinte er, als er Toms fragenden Blick sah. „In einer Ecke habe ich seltsame gezahnte Gebilde aus Eisen gesehen“, fuhr er fort. „Das könnten Tierfallen sein und ich glaube, dass….“ Mitten im Satz brach er ab und starrte in die Richtung, aus der sie vor einer Weile durch den Zaun gekrochen waren. „Was ist?“, fragte Tom ängstlich. „Ich habe Männerstimmen gehört“, flüsterte Jens. Tatsächlich! Jetzt konnten auch Jens und Tom deutlich Stimmen hören, die immer näher kamen. „Schnell, wir müssen und verstecken!“, krächzte Paul. Mit schlotternden Knien krochen die drei Kameraden unter die tiefhängenden Zweige der nächstgelegenen Fichte. Gerade noch rechtzeitig, denn kurz darauf tauchten drei Gestalten vor der Hütte auf. In der beginnenden Dämmerung konnten die Jungen, die sich so tief wie möglich unter die schützenden Zweige kauernten, drei Männer erkennen. Einer der Kerle, der eine Art Tarnanzug trug, steckte einen großen Schlüssel ins Schloss, drehte ihn zweimal um und öffnete die Tür. Dabei lachte er leise über irgendeinen Witz, den der Mann mit dem schwarzen Bart erzählt hatte. Dann waren die beiden im Holzschuppen verschwunden und hatten die Tür hinter sich zugezogen. Den Schlüssel ließen sie im Schloss stecken. Der dritte Mann setzte sich auf einen Steinhaufen neben der Tür, zündete sich eine Zigarette an und schaute aufmerksam in die Gegend. Das schien der „Aufpasser“ zu sein. Im Schuppen hörte man es ab und zu rumoren, ansonsten wurde die Abendstille nur durch das unermüdliche Zirpen der Grillen unterbrochen. Ratlos schauten sich die Jungen in ihrem Versteck an. Was sollten sie tun? Mit Zeichensprache verständigten sie sich, dass sie erst abhauen konnten, wenn der rauchende Kerl seinen Wachposten verlassen hatte. Aber er machte zunächst keine Anstalten dazu. Stattdessen zündete er sich eine Zigarette nach der anderen an. In der anbrechenden Dunkelheit konnte man seine sitzende Gestalt bald nur noch schemenhaft erkennen. Während Tom auf den glühenden Punkt der Zigarette starrte, dachte er an ihre missliche Lage. Sie hatten wahrscheinlich das Versteck von Wilderern gefunden. Das mussten sie unbedingt der Polizei melden. Aber sie konnten nicht aus dem unbemerkt aus dem Grundstück entkommen. Wären sie doch im Freizeitheim geblieben! Dort würden sich die anderen bestimmt schon große Sorgen um sie machen, weil sie nicht zum Spieleabend erschienen waren. Da fiel Tom plötzlich wieder der Spruch auf seinem Armband ein: „Sei mutig und stark! Gott ist bei dir.“ Verzweifelt schickte er ein Stoßgebet zum Himmel: „Bitte hilf uns, Gott!“  Inzwischen war die Sonne untergegangen und die Nacht umhüllte den Wald mit ihrem dunklen Schleier. Auf einmal stand die Gestalt vor der Hütte auf und öffnete die Tür. Für kurze Zeit erhellte ein schmaler Lichtschein die Dunkelheit, der wieder verschwand, als der Mann die Tür hinter sich schloss. Die Jungen sahen sich an. Der Aufpasser war nun im Holzschuppen! „Los, lasst uns abhauen! Wir schlüpfen am besten wieder durch die Lücke im Zaun. Wir haben keine Zeit, um nach einem Eingangstor zu suchen!“ , hauchte Paul und machte sich daran, aus dem Gebüsch zu kriechen. Tom hielt ihn am Arm fest. „Warte“, flüsterte er. „Ich werde die Typen erst in der Hütte einschließen und komme dann nach.“ Paul sah ihn mit großen Augen an. „Das traust du dich?“, fragte er bewundernd. Tom winkte ab. „Eigentlich nicht“, antwortete er. „Aber ich tu es trotzdem.“ Jens klopfte ihm auf die Schulter. „Ich komme mit dir“, sagte Jens. Paul und zählte leise bis drei. Dann huschten sie aus ihrem Unterschlupf. Paul lief geduckt am Holzschuppen vorbei und wurde dann von den dunklen Nadelbäumen verschluckt. Tom und Jens schlichen zur Tür. Durch die Tür konnten sie die gedämpften Stimmen der Wilderer hören. Tom holte tief Luft, ergriff vorsichtig den Schlüssel und drehte ihn langsam und so leise wie möglich um. Die Männer schienen nichts bemerkt zu haben. Die beiden Freunde rannten weg, schlugen sich durch die Zweige der Fichten und preschten durchs Brennnesselfeld und die dornenbehafteten Sträucher bis zur Öffnung im Bretterzaun. Sie gingen in die Hocke und quetschten sich durch die enge Lücke. Auf der anderen Seite zog Paul sie wieder auf die Beine. „Hat es geklappt?“, fragte er mit weit aufgerissenen Augen. „Ja“, flüsterte Jens. „Und jetzt nichts wie los!“ Sie liefen so schnell wie möglich durchs Unterholz in Richtung Freizeitheim. Dabei achteten sie nicht darauf, wo sie hintraten. Ab und zu stolperte einer der Jungen über einen Ast, berappelte sich wieder und folgte seinen rennenden Freunden durch den dunklen Wald.

Als sie fast den ersten Waldweg erreicht hatten, schrie Paul plötzlich laut auf, stürzte auf den Boden und wälzte sich schreiend hin und her. Tom knipste seine Taschenlampe an und eilte zu ihm. Jens hatte sich bereits über den verletzten Kameraden gebeugt und versuchte, ihn zu beruhigen. Was die beiden dann im Schein der Taschenlampe sahen, ließ sie laut aufstöhnen: Pauls rechter Fuß steckte in einer zugeschnappten Tierfalle. Die spitzen Metallzähne hatten sich anscheinend tief in sein Fleisch gebohrt, denn sein weißer Turnschuh färbte sich an mehreren Stellen bereits dunkelrot. Tom leuchtete ihm ins Gesicht. Es war aschfahl und große Tränen rannen ihm über die Wangen. „Mein Fuß, mein Fuß!“, wimmerte Paul. Tom fasste einen Entschluss. „Bleib du bei Paul“, wies er Jens an und drückte ihm die Lampe in die Hand. „Ich renne zum Freizeitheim und hole Hilfe.“ Jens nickte stumm. „Beeil dich!“, murmelte er, aber das hörte Tom gar nicht mehr. Er hatte sich schon auf den Weg gemacht. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Alleine durch den Wald zu laufen war mit das Schlimmste, was er sich vorstellen konnte! Überall sah er Schatten und hörte seltsame Geräusche. Ständig liefen ihm kalte Schauer der Angst über Rücken und Arme. Während er so schnell wie möglich vorwärts stolperte, fiel ihm auf einmal ein, dass er vielleicht doch nicht ganz alleine unterwegs war. „Gott ist bei mir“, sagte er leise vor sich hin, immer wieder. „Gott ist bei mir. Gott ist bei mir….“ Das gab ihm Kraft, weiterzulaufen.

Nach etwa 15 Minuten erreichte er völlig außer Atem und mit brennenden Lungen das Freizeitheim. Auf dem kleinen Parkplatz davor stand ein Polizeiauto. Hatten sie etwa schon nach ihnen gesucht? Als Tom die Eingangstür aufriss, kam ihm schon eine völlig aufgelöste Frau Fischer entgegen. „Tom!“, rief sie mit zitternder Stimme. „Wo warst du? Wo sind die anderen?“  Völlig erschöpft ließ er sich auf den Boden fallen. Es brauchte einige Zeit, bis er genug Luft geschnappt hatte, um wieder sprechen zu können. Jetzt sah er, dass neben Frau Fischer auch zwei Polizisten in Uniform standen und ihn erwartungsvoll ansahen. Er setzte sich auf einen Stuhl und erzählte in stockenden Worten von dem verletzten Paul und ihrer Entdeckung im Wald. Die Polizisten und Frau Fischer hörten mit offenen Mündern zu. Bevor er zu Ende berichtet hatte, zückte einer der Beamten sein Funkgerät und forderte einen Krankenwagen und weitere Verstärkung an. „Kannst du uns zu deinem verletzten Kameraden und zu der Hütte bringen?“, fragte der zweite Polizist. Tom nickte. Das würde er gerade noch schaffen.

Es dauerte keine zehn Minuten, bis der Krankenwagen und ein weiteres Polizeifahrzeug eingetroffen waren. Tom durfte in einem der Polizeiautos mitfahren und zeigte den uniformierten Männern die Stelle, an der man in den Wald abbiegen musste. Die beiden anderen Fahrzeuge waren ihnen gefolgt. Nun stiegen die Sanitäter und die Polizisten aus und setzten den Weg zu Fuß fort. Tom führte sie zu dem immer noch am Boden liegenden Paul, der vor Schmerzen wimmerte. Jens leuchtete ihnen mit der Taschenlampe entgegen und war sichtlich erleichtert, als er die Sanitäter erkannte und ihnen die Versorgung seines Kameraden überlassen konnte. Die vier Polizeibeamte gingen mit Tom weiter. Er lotste sie bis zu dem umzäunten Grundstück. Mit ihren starken Lampen leuchteten sie den Zaun ab, fanden ein verschlossenes Tor und brachen es auf. Dann schickten sie Tom mit einem der Polizisten wieder zurück. Er sollte die Festnahme nicht miterleben, denn das könnte unter Umständen auch gefährlich werden, erklärten ihm die Beamten. Als Tom und sein Begleiter wieder bei den abgestellten Fahrzeugen ankamen, wurde Paul gerade auf einer Trage liegend in den Krankenwagen geschoben. Er hatte ein Mittel gegen die Schmerzen bekommen und wirkte nun ganz ruhig. Einer der Sanitäter sah Tom und fragte: „Würdest du mit uns ins Krankenhaus fahren? Dein Freund Paul hat es sich gewünscht.“ Tom war einverstanden. Und so saß er kurz darauf neben seinem Klassenkameraden, der ihn dankbar anschaute, während der Kastenwagen den Waldweg entlanghoppelte. „Ich wollte dir noch was sagen“, flüsterte Paul so leise, dass Tom sich zu ihm herabbeugen musste, um ihn zu verstehen. „Ich werde dich nie wieder auslachen“, fuhr er mit schwacher Stimme fort. „Du bist kein Schwächling, du hast Mut bewiesen. Und ich wollte dich fragen…“, lächelte er etwas verlegen, „…ob du mir auch so ein blaues Armband besorgen kannst.“ Obwohl sich Tom nach den Strapazen des Tages kaum mehr auf den Beinen halten konnte, fühlte er sich in diesem Moment so lebendig und fröhlich wie nie zuvor. „Klar doch!“, erwiderte er erfreut. Dann streifte er sich das Armband über die Hand und zog es seinem neuen Freund an. „Du bekommst meines. Ich besorg mir ein neues.“

Auf dem Rest der Fahrt sprachen sie kein weiteres Wort. Aber das war auch nicht nötig. Wenig später erreichten sie das Krankenhaus. Paul wurde noch in der Nacht operiert. Der Polizist, der Tom im Wald zurückbegleitet hatte, holte ihn vom Krankenhaus ab und brachte ihn zum Freizeitheim. Unterwegs erzählte er ihm, was in der Zwischenzeit passiert war: Seine Kollegen hatten die drei Männer in der Hütte überrascht, als sie gerade abgehangenes Fleisch in Tüten abpackten und Tierfallen reparierten. Sie hatten noch gar nicht bemerkt, dass die Tür verschlossen war. Die Männer gestanden noch vor Ort, dass sie heimlich Tiere mit verbotenen Fallen jagten, um das Fleisch und die Felle zu verkaufen. Sie wurden festgenommen und sollten gleich morgen dem Untersuchungsrichter vorgeführt werden. Frau Fischer und die anderen Kinder seiner Klasse würden alle noch nicht schlafen. Sie warteten auf seine Ankunft, denn sein Klassenkamerad Jens hatte gesagt, dass er ihnen erst von ihrem Abenteuer erzählen würde, wenn sein Freund Tom wieder da wäre. Als sich Tom wenig später von dem freundlichen Beamten verabschiedete und auf das hell erleuchtete Freizeitheim zuging, glaubte er, vor Glück fast zu platzen. So musste sich der Hirtenjunge David damals gefühlt haben, als er den Riesen Goliath besiegte. „Danke Gott!“, dachte Tom. Dann öffnete er die Eingangstür zum Freizeitheim.

  • Autor / Autorin: Hans-Martin Kögler
  • © Bild: miikka-luotio--ybT8AE-yOk-unsplash.jpg
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