Jesus: „Seid barmherzig!“ – Ich: „Wie kann ich das?“

Einheit | Bibelarbeit
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Jesus: „Seid barmherzig!“ – Ich: „Wie kann ich das?“

Enthalten in:
Materialart: Bibelarbeit
Zielgruppen: Junge Erwachsene, Junge Erwachsene (18+), Studenten, Mitarbeit, Mitarbeitende
Einsatzgebiete: (Jugend-)Gottesdienst, Gruppenstunde, Predigtvorbereitung, Schulung
Verband: Deutscher EC-Verband
Redaktion: echt.
Zeitbedarf: 30-60 Min. (Vorbereitung: 20-40 Min.)
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Jesu Aufforderung ist klar: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!“ (Lk 6,36) Überschätzt und überfordert er uns damit nicht heillos? Jeder von uns kennt die Erfahrung: „Ich habe mir fest vorgenommen, barmherzig zu sein – aber dann habe ich doch hart geurteilt und andere auflaufen oder ins Leere laufen lassen.“ Und selbst wenn wir barmherzig sein wollen, gelingt uns das nicht immer. Wie können wir barmherzig sein? Geht das überhaupt? Jesus vergleicht uns mit Gott. Macht es das nicht vollends unmöglich: „Ich bin doch nicht Gott, wie sollte ich handeln können wie er? Ist das nicht eine komplette Überforderung?“

Vielleicht spüren wir auch eine Angst oder doch ein gewisses Unbehagen: „Was geschieht mit mir, wenn ich barmherzig bin? Werde ich da nicht ausgenutzt? Ziehe ich da nicht zwangsläufig den Kürzeren? Das will ich nicht, das fühlt sich gar nicht gut an.“ Wollen wir barmherzig sein? Können wir das wollen, wenn wir die Folgen realistisch ins Auge fassen? Wer will schon unter die Räder derer kommen, die sich auf seinem Rücken und auf seine Kosten durchsetzen? Es stellt sich also unausweichlich ganz grundsätzlich die Frage: „Wie kann ich wollen und wie kann ich tun, was ich von Jesus her soll?“

Um diese Frage zu beantworten, gilt es zunächst einmal zu klären, was Barmherzigkeit im Blick auf Gott bedeutet und von da aus auch für uns. Zum Schluss fragen wir nach dem, was uns barmherzig macht und wie wir das wollen und tun können, wozu uns Jesus auffordert.

Barmherzig und gnädig ist Gott

Das bekennt Israel an den entscheidenden Stellen seines Weges mit Gott: „Und der Herr ging vor seinem [=Moses] Angesicht vorüber, und er rief aus: Herr, Herr, Gott, barmherzig und gnädig und geduldig und von großer Gnade und Treue …“ (2. Mose 34,6). Was das Volk Israel erlebt hat, das kann zur Erfahrung jedes Einzelnen werden: „Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat: der dir alle deine Sünde vergibt … Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte. … Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt, so erbarmt sich der Herr über die, die ihn fürchten.“ (Ps 103,2.8-13)

Dieses Bekenntnis erhält seine Tiefe und Schönheit von der Erfahrung Israels her. Gott hat das Elend der Israeliten in Ägypten gesehen und ihr Schreien gehört. Das ist der Anfang der Barmherzigkeit: Die Not des anderen zu sehen und zu hören, wie es ihm ergeht – und sich das zu Herzen gehen lassen. Das lateinische Wort für Barmherzigkeit bringt es auf den Punkt: misericordia – cor=Herz, miser=elend, krank, leidend – also: ein Herz haben für das Elend des anderen, wirklich bewegt werden und mitleiden. Das Elend von uns Menschen trifft Gott mitten ins Herz.

Befreiende Barmherzigkeit

Barmherzigkeit beginnt mit einer inneren Bewegung, aber die führt zum Handeln für andere, so dass wirklich geholfen wird: Elend und Not werden spürbar und sichtbar verändert. Gott schickt Mose und befreit durch ihn sein Volk aus seiner jämmerlichen Sklaverei. Aber mehr noch: Er verbindet sich mit ihnen auf ewig. Er schließt mit ihnen einen Bund am Berg Sinai. Doch kaum hat er sich mit ihnen verbunden, trifft ihn eine bittere Enttäuschung: Die Israeliten brechen kurz darauf den frisch geschlossenen Bund mit ihm. Sie beten das „Goldene Kalb“ an (2. Mose 32,1ff), d.h. sie verlassen den Gott, dem sie ihre Befreiung und ihr Leben zu verdanken haben und schreiben das einem anderen zu. In ihrer Blindheit verkennen sie ihren Bundesgott, sie lassen sich auf einen Seitensprung mit fremden Göttern ein.

Solch ein Liebesverrat geht an Gott nicht spurlos vorbei. Im Gegenteil: Er beschließt, sein Volk zu vernichten und mit Mose ganz neu zu beginnen. Mose aber geht auf dieses Angebot überhaupt nicht ein; im Gegenteil, er fleht Gott an: „Kehre dich ab von deinem glühenden Zorn und lass dich des Unheils gereuen, das du über dein Volk bringen willst. Gedenke an deine Knechte Abraham, Isaak und Israel, denen du bei dir selbst geschworen und verheißen hast: Ich will eure Nachkommen mehren wie die Sterne am Himmel, und dies ganze Land, das ich verheißen habe, will ich euren Nachkommen geben, und sie sollen es besitzen für ewig.“ (2. Mose 32,12f) 

Bereuende und vergebende Barmherzigkeit

Im Vers darauf blitzt dann ganz hell auf, was Barmherzigkeit in einer Situation bedeutet, wo Menschen an Gott schuldig geworden sind: „Da gereute den Herrn das Unheil, das er seinem Volk angedroht hatte.“ Zwar hat Israel seinen Gott hintergangen, der aber bleibt nicht zornig und verbittert, nein, was für ein Wunder: Er liebt unbeirrbar weiter. D.h. seine Liebe findet jetzt in dieser Situation ihre Gestalt in vergebender Barmherzigkeit: Er wendet sich denen gnädig zu, die von sich aus alles verspielt hatten. Sie hätten es verdient gehabt, dass Gott ihnen den Laufpass gibt und sich nicht mehr für sie interessiert. In Hosea 11,8f wird uns ein tiefer Blick in Gottes Herz gewährt: „Mein Herz ist in mir umgestürzt, mit Macht ist meine Reue entbrannt. Ich kann meinen glühenden Zorn nicht vollstrecken, kann Efraim nicht wieder verderben, denn Gott bin ich, nicht Mensch, in deiner Mitte der Heilige: Ich lasse Zornesglut nicht aufkommen.“ (Übersetzung von J. Jeremias) Gott ist unfähig, die verdiente Strafe zu vollstrecken. Was für ein Erbarmen, was für eine Gnade!

Jesus greift das auf in der Erzählung vom barmherzigen Vater und seinen zwei verlorenen Söhnen in Lukas 15,11ff: Als der jüngere Sohn zu ihm umkehrt und der Vater ihn kommen sieht, bereits da, als er zwar räumlich gesehen noch weit entfernt war, erfasste ihn Erbarmen. Das äußert sich dann nicht nur in der Vergebung, sondern er feiert ein Fest mit ihm, setzt ihn erneut als seinen Sohn ein, erneuert die heilsame Gemeinschaft mit ihm! Und er bittet inständig seinen älteren, auf seine Weise nicht weniger verlorenen Sohn, sich mit ihm von Herzen mitzufreuen. Auch ihm gilt das ganze Mitgefühl seines Vaters. Die vielfältigen Formen unserer Verlorenheit, unserer Nöte und Unfreiheit gehen Gott zu Herzen – und bewegen ihn auf uns zu. Das lässt ihn nicht kalt. Von Jesus heißt es: „Als er die Scharen von Menschen sah, ergriff ihn tiefes Mitgefühl; denn sie waren erschöpft und hilflos wie Schafe, die keinen Hirten haben“ (Mt 9,36).

Hinschauende Barmherzigkeit

Jesus verbindet die Liebe zu Gott untrennbar mit der Liebe zum Nächsten. Im Doppelgebot der Liebe bringt er auf den Punkt, wozu wir Menschen geschaffen sind: „Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben mit deinem ganzen Herzen, mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Willen. Dies ist das größte und wichtigste Gebot. Aber das zweite Gebot ist genauso wichtig: Liebe deinen Mitmenschen wie dich selbst“ (Mt 22,37ff). Die Barmherzigkeit als eine wichtige Gestalt dieser Liebe hebt Jesus in der Beispielerzählung vom barmherzigen Samariter in Lukas 10 stark hervor. Der Samaritaner sieht den von Räubern Überfallenen und Zusammengeschlagenen und wird davon berührt: „und als er ihn sah, jammerte er ihn“. Oder in der Basisbibel heißt es: „Als er den Verwundeten sah, hatte er Mitleid mit ihm“ (Lk 10,33). Der Priester und der Levit haben zwar den am Boden liegenden Mann gesehen, dann aber weggeschaut, um mit dem weitermachen zu können, was sie sich vorgenommen hatten. Der Samaritaner hingegen hat bewusst hingeschaut und sich von der Not des Überfallenen her vorgeben lassen, was er jetzt zu tun hat: den Schmerz akut lindern, ihn pflegen und schließlich sogar durch Geld für die Fortsetzung der Pflege sorgen – so dass es zu vollständiger Genesung kommen kann.

Barmherzigkeit konkret

Das ist eine Beispielerzählung, die dazu anregt, von ihr aus weitere Nöte von Mitmenschen in den Blick zu fassen. Und in unterschiedlichen Situationen jeweils zu fragen: Wie handle ich hier und jetzt im Sinne der Barmherzigkeit? Was kann und was soll ich konkret tun? Christenmenschen haben sich dabei an Jesu Rede vom Weltgericht in Matthäus 25,31ff orientiert. In der Tradition der Kirche werden von dorther in zwei Reihen Werke der Barmherzigkeit aufgezeigt. In ihnen konkretisiert sich die Grundhaltung der Barmherzigkeit in Taten: (1) Sieben Werke der leiblichen Barmherzigkeit: Hungrige speisen, Durstigen zu trinken geben, Nackte bekleiden, Fremde beherbergen, Kranken beistehen, Gefangene besuchen und Tote begraben. (2) Sieben geistige Werke der Barmherzigkeit: Unwissende belehren, Zweifelnden raten, Trauernde trösten, Sünder zurechtweisen, dem Beleidiger verzeihen, Unrecht ertragen, für Lebende und Tote beten.

Von Barmherzigkeit zu Barmherzigkeit

Hier noch ein paar Hinweise auf das, was uns zur Barmherzigkeit bewegen kann. In Lukas 6 fordert Jesus nicht bloß zur Barmherzigkeit auf, er spricht uns mit Gott zusammen: „Euer Vater.“ Wo wir Gottes Barmherzigkeit erfahren, da bewegt sie uns dazu, selbst barmherzig zu sein. Negativ gilt: Verletzte verletzen, aber positiv gilt nicht weniger: Geheilte heilen, Geliebte lieben – wem Barmherzigkeit widerfahren ist, der wird im Herzen weich und kann anderen auch mit Erbarmen begegnen. Vielleicht läge darin eine große Kraft: uns von Gott tiefer lieben zu lassen, gerade da, wo wir uns nicht liebenswert empfinden; uns an seinem Erbarmen tiefer zu freuen, gerade da, wo wir uns vor uns selbst schämen, wo unsere Not am tiefsten ist. Und wie schön ist das, wo er unser Herz weich macht, wo seine Liebe das Eis unserer Seele schmelzen lässt.

Und Gott hat uns bereits so geschaffen, dass uns die Not anderer im Herzen erreichen kann. Er hat uns mit den so genannten Spiegelneuronen ausgestattet. Der Hirnforscher Joachim Bauer nennt diese Neuronen „ein Nervenzellensystem für Mitgefühl und Empathie. Die Fähigkeit, Mitgefühl und Empathie zu empfinden, beruht darauf, dass unsere eigenen neuronalen Systeme … spontan und unwillkürlich in uns jene Gefühle rekonstruieren, die wir bei einem Mitmenschen wahrnehmen.“[1] Gott hat uns mit offenem Herzen geschaffen, mit der Möglichkeit zum Mitfühlen.

Manchmal werden wir auch durch die Erfahrung eigener Not geöffnet für die Not anderer. Es wächst ein Verständnis für den anderen, zuweilen sogar für das, was wir zuvor an ihm verurteilt haben. Dann richten wir nicht mehr unbarmherzig, sondern fühlen mit. Wer an sich selbst leidet, kann mitleiden. Wer seine eigene Bedürftigkeit kennt, kann Anteil nehmen an der Bedürftigkeit anderer.

Wo barmherzig gehandelt wird, blüht das Leben auf. Wo einem vergeben wird, kann er neu beginnen. Wo einer ermutigt wird, entwickelt er sich weiter. Wo einer korrigiert wird, kann er bereuen und sich anders verhalten lernen. Wo einer materiell unterstützt wird, kann er lernen, für sich selbst zu sorgen. Wo ein Einsamer besucht wird, wo Leben mit ihm geteilt wird, da spürt er: Ich gehöre dazu. Barmherzigkeit macht schön, macht das Leben schöner. Eine kalte Welt tut uns nicht gut. Eine Welt mit der Wärme der Barmherzigkeit – die zieht mich an.

Und als Christenmenschen leben wir bereits jetzt im Lichte dessen, was im Letzten Gericht gilt. Wenn Jesus sich über Werke der Barmherzigkeit jetzt schon täglich freut und im Letzten Gericht diese Taten würdigt – das motiviert mich, bereits jetzt zu leben und mich für das einzusetzen, was endgültig gilt und Gott auf ewig verherrlicht: Barmherzigkeit!


[1] Joachim Bauer, Warum ich fühle, was du fühlst. Intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneurone, S. 47 u. 51.

  • Autor / Autorin: Pfr. Thomas Maier
  • Autor / Autorin: Direktor der Evangelischen Missionsschule Unterweissach
  • © Deutscher EC-Verband
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