Materialart: | Hintergrund/ Grundsatz |
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Zielgruppen: | Jugendliche (15-19 Jahre), Junge Erwachsene (18+), Studenten, Mitarbeitende |
Einsatzgebiet: | Gruppenstunde |
Verband: | |
Redaktion: | |
Zeitbedarf: | 20-40 Min. (Vorbereitung: 10-20 Min.) |
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Das Wort “Toleranz” ist in aller Munde. Für unsere Kanzlerin ist es einer der zentralen europäischen Werte. Sportler und Musikstars rufen zu Toleranz und Freiheit auf. Die ARD widmete jüngst unter dem Motto “Anders als du denkst” gar eine ganze Woche dem Thema. Auf Demonstrationen wird “Toleranz” für die unterschiedlichsten Lebensformen und Projekte gefordert. Die gesellschaftliche Aktualität ist nicht zu übersehen. Und doch, nicht immer hat man den Eindruck, dass die Tragweite des Begriffes ausreichend reflektiert wird. Wer den Begriff hat, hat ja nicht schon gleich die Sache. Was meint denn “Toleranz”? Wir werden gut tun, uns kurz darüber zu verständigen, bevor wir die Frage angehen, ob und ggf. inwieweit Jesus tolerant war…
Der Begriff der Toleranz (lat. dulden, erdulden, ertragen) entwickelte sich im Zusammenhang der Konfessionsspaltung im 16. Jahrhundert und zielte dort auf das Recht der freien Religionsausübung angesichts widersprechender Glaubensüberzeugungen. Toleranz ist daher nicht zu verwechseln mit Akzeptanz, dem generellen Gutheißen oder Billigen anderer Überzeugungen! Toleranz setzt gerade vielmehr die Differenz, den inhaltlichen Konflikt zwischen eigener und anderer (nicht-akzeptierter!) Überzeugung voraus. Sie ist nicht gefordert, wenn wir keine eigenen Standpunkte (mehr) haben! In einer Aufsehen erregenden Rede hat der deutsche Sozialphilosoph Jürgen Habermas vor mehr als einem Jahrzehnt betont: “Toleranz können wir nur gegenüber einer aus guten subjektiven Gründen abgelehnten Überzeugung üben, und zwar in der Weise, dass diese kognitive Ablehnung gleichwohl keine praktisch ,unüberwindliche‘ Abneigung nach sich zieht. Wir brauchen nicht tolerant zu sein, wenn wir gegenüber fremden Auffassungen und Einstellungen ohnehin indifferent sind oder gar den Wert dieses ,Anderen‘ schätzen.” Toleranz – das meint, einen inhaltlichen Konflikt zu ertragen (und nicht zu nivellieren), ohne ihn im sozialen Miteinander praktisch zur Auswirkung kommen zu lassen (also ohne uns “die Köpfe einzuschlagen”). Indes, vielleicht gehört es mit zu einem Grundproblem unserer Zeit, dass sie innere Überzeugungen, für die über-individuelle Wahrheit beansprucht wird, allzu schnell unter Generalverdacht stellt und gleiche Gültigkeit für alle einfordert (hat denn nicht jeder recht?). In diesen Sinne kritisierte schon der polnische Philosoph und Marxismusforscher Leszek Kolakowski: “Wir bemerken allerdings, dass Toleranz oft im Sinne von Gleichgültigkeit, beim Fehlen eines Standpunkts oder einer Meinung, gefordert wird, mitunter sogar im Sinne eines Freibriefs für alles, was Menschen und Anschauungen betrifft. Das nun ist etwas völlig anderes. Die Forderung nach Toleranz in dieser Hinsicht ist Teil unserer hedonistischen Kultur, in der nichts wirklich Bedeutung besitzt. Es ist die Philosophie eines Lebens ohne Verantwortung und ohne Überzeugungen. Verstärkt werden solche Tendenzen durch verschiedene philosophische Moden, die uns beibringen wollen, dass es Wahrheit im eigentlichen Sinne nicht gibt. Wenn ich also auf meinen Überzeugungen beharre, selbst ohne jede Aggressivität, dann versündige ich mich schon gegen die Toleranz. Das aber ist barer Unsinn; die Verachtung für die Wahrheit bedroht unsere Zivilisation nicht weniger als der Fanatismus.” Toleranz braucht ja zu ihrer Begründung (warum sollten wir denn überhaupt “tolerant” sein?) selbst eine Menge an Gemeinsamkeiten (an übergeordneten Werten), die nicht zur Disposition stehen; ja die Pflicht zur Toleranz findet ihren Grund selbst in der festen Überzeugung von der Würde der Person (weil der andere eben auch Mensch bzw. Geschöpf Gottes ist!). Wo wir daher von vornherein auf eine über-individuelle Wahrheit verzichten, stehen wir nicht nur in Gefahr, den Grund der Toleranz, sondern auch grundlegendes Orientierungswissen zu verlieren. Dann aber wäre auch die Chance zur Veränderung und Erneuerung, zum Lernen, Wachsen und ggf. Heil werden gefährdet und einer Ideendiktatur (der “herrschenden” Meinung) Tor und Tür geöffnet…
In der Theologie wurde in diesem Zusammenhang oftmals die Unterscheidung von „Sachtoleranz“ und „Persontoleranz“ angeführt. Erste bezieht sich auf “Toleranz in der Sache” (im Anschluss an unsere Ausführungen oben, wäre indes vielleicht der Begriff “Sachakzeptanz” angemessener), letztere auf die “Toleranz im Handeln gegenüber einer Person”, also auf Toleranz als eine moralische Handlungsweise (Tugend). In dieser Unterscheidung kann christlicher Glaube zugleich sach-intolerant als auch person-tolerant sein und die reformatorische Unterscheidung von Person (Annahme) und Werk (ggf. Widerspruch) aufgreifen. Wer die Evangelien aufmerksam liest, wird immer wieder feststellen können, dass wir bei Jesus durchaus Ähnliches finden: einerseits letzte Autorität (“ich aber sage euch”) und Widerspruch in der Sache (”Sünde”), andererseits eine unbedingte Annahme der Person (des “Sünders”). Einerseits Aussagen wie “Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen” (Joh. 3,3) oder “Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater als durch mich” (Joh. 14,6), andererseits “Liebt eure Feinde, betet für die, die euch verfolgen.” (Mt 5,43f) oder “Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun.” (Lk 23,34).
Christlicher Glaube bekennt, dass es eine letzte (über-individuelle) Wahrheit der Welt gibt und dass diese Wahrheit in der Person Jesu Christi zu finden ist. Christlicher Glaube ist dementsprechend da wahr, wo er von sich wegweist auf den Einen, der die Wahrheit ist und zur Begegnung mit Ihm einlädt. Jesus nachfolgend, bekennen wir diese Wahrheit da sachgemäß (oder besser Christus-gemäß) wo wir sie in Liebe bekennen, Ein- und Widerspruch in Liebe ertragen und dem anderen mit Liebe begegnen. Jesus überbietet mit seinem Liebesaufruf die klassische Toleranzforderung. Sie ist nicht nur eine praktisch-rationale Handlungsanweisung, sondern eine Gesinnung des Herzens, die den anderen zu lieben vermag, auch da wo ihr der Hass entgegen schlägt. Das aber ist mehr, als was in menschlichen Möglichkeiten liegt und Auswirkung einer Geisterfahrung (Röm 5,5; Gal. 5,22) in der Gott grundlegend am Glaubenden handelt und die in allem ehrlichen Ringen erbeten und empfangen werden will.
In welchem Verhältnis steht denn dann dieser Glaube zum Urteilen? Jesu Bildrede vom Balken im eigenen Auge und dem Splitter im Auge des Bruders (Mt 7,1-6) warnt vor einen selbstgerechten Urteilen, meint aber gerade nicht den Verzicht auf eine notwendige Beurteilung (V.6!). Jesus gibt seinen Jünger weder ein Recht zum vergeltenden Richten bzw. zur letzten Strafzumessung (Verurteilung), noch zum unbarmherzigen Verhalten. Gott selbst ist und bleibt der Richter und nicht der Mensch! Vor Ihm bin ich selbst einer, der der Vergebung bedarf (“Schuldner”) und die mir zuteil gewordene Barmherzigkeit soll mich barmherzig werden lassen im Umgang mit anderen. Das aber schließt nicht aus, sondern ein, dass wir uns in einer rechten Art zu Urteilen üben. Jesu Unterricht bestand ja gerade darin, dass Urteilsvermögen seiner Jünger zu formen und zu stärken. “Kranke” sind auch bei Jesus “krank”, aber sie finden in Ihm den Arzt, der zur ihrer Hilfe kommt. Es geht bei Jesus, so „A. Schlatter“, daher nicht um eine Abwehr der Urteilsbildung (Denkakt), sondern um eine Abwehr der Strafzuweisung. Letztere ist allein Gottes Sache; meine ist es, den anderen zu lieben und zur Begegnung mit der Wahrheit einzuladen, die wirklich frei macht.
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